Mittwoch, 23. Dezember 2009

Rodaborn - Deutschlands erste Autobahnraststätte


Die Gaststätte „Walderholungsheim Rodaborn“ bei Triptis, der „Vorläufer“ der Autobahnraststätte auf der Wittchensteiner Höhe, wurde in den 1920er Jahren errichtet. Seine Entstehung verdankte sie einer Wasseruntersuchung durch den Jenaer Professor Dr. Gärtner. Er untersuchte das Wasser der namensgebenden Quelle „Roda - Born“ und bescheinigte ihm eine Heilkraft "bei Gicht, Rheumatismus und Nierenleiden". Daraufhin gründeten 500 Bürger aus Triptis eine Genossenschaft, die das Walderholungsheim mitten im Wald errichteten und 1928 eröffneten.

Postkarte mit dem Kurhaus Rodaborn

Doch bald schon war es vorbei mit der Waldidylle. Am 19. Juli 1934 fand dort der erste Spatenstich für den Streckenabschnitt der Reichsautobahn zwischen Triptis und Eisenberg statt, es war der erste Bauabschnitt auf Thüringer Gebiet. Die "Geraer Zeitung" schrieb dazu:

"… Der erste Spatenstich für die Reichsautobahnen - Ministerpräsident Marschler und Innenminister Wächtler in Triptis. Alle Thüringer Behörden bei dem feierlichen Staatsakt vertreten … erster Bauabschnitt auf Thüringer Gebiet .. .bei Triptis, Wittchensteiner Höhe ... Bauabschnitt trägt die Los-Nr. 18 ... Bauabschnitt von Los-Nr. 18 endet in der Nähe von Bad Klosterlausnitz. In den Wäldern von Hermsdorf soll mit dem Fällen der Bäume (Aufhieb) in den nächsten Tagen begonnen und das Abschlußlos vergeben werden. Der gesamt Bauabschnitt bildet einen Teil der Nord-Süd-Linie, die von Berlin über Leipzig-Schkeuditz, Schleiz, Bayreuth und Nürnberg nach München führt …"

Die Raststätte Rodaborn an der Reichsautobahn Nord-Süd-Linie.
Diese und die folgenden Postkarten stammen aus den 1930er bzw. 1940er Jahren.


In dieser Zeit wurde mit dem Umbau der Gaststätte „Rodaborn“ zur Autobahn-Raststätte begonnen und Parkplätze auf beiden Seiten angelegt. Am 20. Dezember 1936 wurde sie als erste (Reichs-) Autobahnraststätte Deutschlands in Betrieb genommen. Dies erfolgte im Rahmen der Freigabe der Teilstrecke zwischen Eisenberg und Schleiz. Sie gehörte nicht zu den Reichsautobahn-Rastanlagen, die vom Unternehmen „Reichsautobahnen“ betrieben wurden, sondern erwies sich für die Genossenschaftler als eine wahre Goldgrube. Selbst mitten im Krieg, als fast alle jungen Männer an die Front mussten, sorgten zwei Kellner und ein Parkplatzwächter für reibungslosen Betrieb.

LKW auf dem Parkplatz der Raststätte...
...und hier ein Foto eines PKW auf dem Parkstreifen aus dem Jahr 1936

Um vom Parkplatz auf der gegenüberliegenden Seite gefahrlos zur Raststätte zu gelangen, baute man einen Holzsteg über die Fahrbahn. Die Frau des Bauern, der das Holz für die Brücke lieferte, hieß Erna. Der Steg erhielt deshalb den Namen „Ernasteg“.

Nach dem 2. Weltkrieg wurde die Raststätte weiter bis 1959 durch die Genossenschaft betrieben. Anschließend ging sie in das Eigentum der Stadt Triptis über und wurde zunächst privat verpachtet. Als der Pächter in den Westen ging, übernahm die HO die Raststätte. Die Raststätte war beliebtes Ausflugsziel für die Triptiser und auch Hermsdorfer.

Diese und die folgende Postkarte zeigt die Raststätte Rodaborn in der DDR-Zeit

Auf der Rückseite der obigen Mehrbildpostkarte ist folgendes zu lesen:

"Lieber Werner und liebe Hedi! Wir sitzen an der Autobahn und schauen dem enormen Verkehr zu. Das Wetter hat heute gehalten, am Abend ist die Sonne noch gekommen. [...] Nun geht es wieder heimwärts. Herzliche Sonntagsgrüße, Vati und Mutti."

Ende der 1970er Jahren erfolgte die Schließung später die Wiedereröffnung durch die MITROPA als Transitraststätte. Nach der Wiedervereinigung führte die MITROPA AG die Raststätte weiter. Aus Rodaborn wurde eine ganz normale, wenn auch etwas altmodische Raststätte. Doch gerade das Rustikale wussten viele Gäste zu schätzen.

Am 30. Juni 2004 kaum im Zuge des sechsspurigen Ausbaus der A 9 das Aus. Der „Ernasteg“ wurde 2006 noch durch eine moderne Beton-Stahl-Konstruktion ersetzt. Alle Bemühungen zum Erhalt der Raststätte blieben aber erfolglos. Eine Wiedereröffnung ist gesetzlich auch kaum mehr möglich, weil mit Schließung 2004 die Konzession entzogen wurde.

Seither steht sie leer, die alten Parkplätze auf beiden Seiten wurden zurückgebaut, bzw. gingen durch die Autobahnverbreiterung verloren.

Pressemeldung vom 1. November 2008: Die ehemalige Autobahnraststätte „Rodaborn“ wurde verkauft. Das teilte die Bundesimmobilienverwaltung mit. Der Verkauf an einen Investor werde in den nächsten Tagen abgewickelt.

Ob aus der obigen Meldung nichts wurde, oder der Verkauf so lange dauerte kann nicht gesagt werden. Am 2. Mai 2009 erfolgte mehrfach die Rundfunkmeldung durch den MDR Thüringen, das die Raststätte verkauft wurde. Der neue Besitzer beabsichtigt dort eine Ausflugsgaststätte zu errichten. Die Nutzung als Autobahnraststätte sei "aus rechtlichen Gründen" nicht mehr möglich. Nach unseren Informationen ist es einer großen Kette von Raststättenbetreibern gelungen, der ältesten deutschen Raststätte die Konzession als solche zu entziehen und so einen Mitbewerber zwischen den Raststätten Rudolphstein und Hermsdorf auszuschalten.

Im August 2014 präsentiert sich die ehemalige Raststätte so

Wurstverkauf ist nur über den Zaun möglich...!
Aktuelles Luftbild

Quelle, u. a.: http://www.hermsdorf-regional.de/autobahn-rasthof/raststaetten/rodaborn/ 
Fotos: eigene (August 2014) bzw. wie gekennzeichnet

Dienstag, 22. Dezember 2009

Die KdF-Stadt in Berlin

Anlässlich und nur für die Zeit der Olympischen Spiele 1936 wurde die „KdF-Stadt“ angelegt, die sich auf dem heutigen Messegelände an der Wandalenallee befand. In der aus Holzhäusern, in nur fünfwöchiger Bauzeit errichteten Siedlung wurden die zahlreichen Olympiagäste empfangen und erhielten günstige Unterbringungs- und Verpflegungsmöglichkeiten in unmittelbarer Nähe des Olympiastadions.

Im „Zentralblatt der Bauverwaltung“ vom 9. September 1936 findet man dazu:

Den Anstoß zum Bau der Anlage gaben die ausgezeichneten Erfahrungen, die mit der KdF-Festhalle in Garmisch-Partenkirchen anläßlich der Winterolympiade gemacht wurden. In Berlin war aber die Aufgabe natürlich viel größer. Auf besonderem Bahnsteig kamen täglich etwa 8.000 Urlauber am frühen Morgen in Berlin an. In der KdF-Stadt konnten sie sich waschen, Kaffee trinken oder sich sonst erfrischen...
Der Bauplatz, ein von der Heerstraße nach dem Ausstellungsgelände sich öffnendes bewaldetes Dreieck, erlaubte die Entwicklung der Hallen erst in einer Entfernung von 300 m von der großen Straße... An dieser Straße waren aufgereiht: Das Olympische Dorf, das Reichssportfeld, die KdF-Stadt, die Ausstellung Deutschland und im Stadtmittelpunkt der Festplatz im Lustgarten...

Die Verbindung der Bauten mit der großen Straße wurde durch einen leicht geschwungenen Wabdelgang hergestellt, dessen Rückwand mit Bildern aus der KdF-Arbeit geschmückt war. Am Endpunkt dieses Wandelganges lag der Haupteingang, der zunächst in einen Hof führte, an dem die Post, die Verwaltung, die Sanitätsstube und die Presse untergebracht waren. An der Seite des Hofes gegen den Wald stand das strohgedeckte Auskunftshäuschen.

Als erste der fünf Hallen schloß an diesen Hof die Rheinland-Halle. Es folgten dann die Hanseaten-, die Bayern-, die Saar-Pfalz- und endlich die große Berliner Halle. Dazwischen waren Höfe mit Sitzplätzen an Tischen und Tanzflächen eingeordnet...
Die vier kleineren Hallen, von denen jede ungefähr 1.000 Sitzplätze an Tischen bieten konnte, waren handwerklich in guter Zimmermannsarbeit ausgeführt. Innen waren die Giebelseiten mit Wandbildern geschmückt, die unmittelbar auf die rohen Bretter gemalt wurden...

Die große Halle mit 3.500 Sitzplätzen an Tischen und einer Firsthöhe von 28 m bekam als Schmuck an ihrer Giebelseite ein riesiges Hoheitszeichen aus Brettern, das nachts, wie auch die anderen geschmückten Giebel, durch Scheinwerfer angestrahlt wurde...

Mehr als Zierstück muß man den großen Fahnenturm ansprechen, der neben der großen Halle errichtet wurde. 320 Hakenkreuzfahnen, große Goldkugeln und Fichtenkränze schmückten den Turm. An seiner Spitze wehte die Flagge der Deutschen Arbeitsfront...
Endlich muß noch berichtet werden, daß im Wald unter den Bäumen ein Lichtspieltheater im Freien geschaffen wurde, in dem die gerade hergestellten Filme von den Kämpfen der Vortage auf dem Reichssportfeld gezeigt wurden...

Ein Teil der für die Olympiade errichteten hölzernen Ausstellungsbauten wurde nach Beendigung der Wettkämpfe nach Nürnberg verbracht und dort, auf dem heutigen Areal des 1. FC Nürnberg, wieder aufgebaut. In den Ausstellungshallen wurden während der Reichsparteitage regionale Produkte präsentiert sowie Freizeitveranstaltungen durchgeführt.

Die „KdF-Stadt“ brannte 1942 nach einem Bombenangriff ab.


Quelle, u. a.: Zentralblatt der Bauverwaltung vom 9. September 1936

Der Deutsche Michel in Königsberg

Der Deutsche Michel ist eine allegorische Darstellung des Deutschen an sich durch den Bildhauer Friedrich Reusch.

Friedrich Reusch hat das Standbild schon 1895 in seinem Atelier in der Kunstakademie Königsberg geschaffen. Lange Zeit stand es als unverkäuflicher Ladenhüter dort herum. Als 1913 der Wrangelturm, der seine militärische Bedeutung verloren hatte, nach Plänen von Prof. Friedrich Lahrs zu einer Kunsthalle umgebaut wurde, fehlte noch der äußerliche Hinweis darauf. 1924 wurde daher das Standbild auf einer Außenmauer der Kunsthalle aufgestellt. Obwohl zuerst verschmäht, erregte das Standbild doch Aufmerksamkeit und wurde ein Blickfang.

Das Denkmal wurde in der Schlacht um Königsberg 1945 vollständig zerstört.



Quelle, u. a.: Wikipedia und www.ordensland.de

Freitag, 18. Dezember 2009

Der Gaußturm in Dransfeld bei Göttingen


Der zu Gauß' und Goethes Zeiten unbewaldete Hohe Hagen verlor mit der Zeit durch den zunehmenden Bewuchs der Hänge seine frühere Anziehungskraft, da die heranwachsenden Bäume die herrliche Rundsicht versperrten. Der 1904 gegründete Verschönerungsverein Dransfeld e.V., der aus dem „Comitee für Dransfelder Sommerfrische" (seit 1881) hervorging, beschloss daher 1906 den Bau eines Aussichtsturmes auf dem Hohen Hagen, der als Wander- und Reiseziel zur Belebung des Fremdenverkehrs beitragen sollte. Zwei Jahre später entschied man, den Turm C. F. Gauß zu widmen und dem bedeutenden Wissenschaftler, der auf dem Hohen Hagen mit der Vermessung des Königreichs Hannover begonnen hatte, damit ein gebührendes Denkmal zu setzen.

Es wurde ein Turmbaufond gegründet und in einer groß angelegten Sammelaktion und durch Bittbriefe Spendengelder für den Turmbau zusammengetragen. Besonders engagierte sich der als Schriftführer und Kassenwart gewählte Dransfelder Lehrer und Kantor Forthmann (1871 - 1964), der als eifrigster Förderer in die Geschichte des Gaußturmes einging.

Auch in Göttingen ließ der Kantor Spendenbüchsen aufstellen. Als das Kapital auf 15.000 Mark angewachsen war, steuerte Kaiser Wilhelm II. 4.000 Mark bei.
Zahlreiche Spenden gingen von der Bevölkerung ein, aber auch von Gelehrtengesellschaften der Universität Göttingen und wissenschaftlichen Vereinen sowie aus Kreisen des Handels, der Industrie, der Presse und der Schifffahrt.

Angesichts solcher Rückendeckung wartete der Verschönerungsverein mit der Grundsteinlegung nicht erst, bis die Bausumme von 51.000 Goldmark vollständig zusammen war. Zur Feierstunde am 29. Juli 1909 kamen auch die Kasseler Architekten des 35 Meter hohen, wuchtigen Bergfrieds, Ludloff und Stiege.
In einem Wettbewerb, bei dem neun Baufirmen ihre Entwürfe für den Gaußturm einreichten, entschied man sich für zwei Architekten aus Kassel, die einen wuchtigen Bergfried aus dem Basalt des Hohen Hagens entworfen hatten.

Die Feier der Grundsteinlegung fand in Anwesenheit zahlreicher Behördenvertreter der Stadt Dransfeld, des Kreises Münden und der Stadt Göttingen, der Universität Göttingen und vieler Einheimischer und Fremder am 29.07.1909 statt, dem Tag, an dem 88 Jahre zuvor C. F. Gauß seine Arbeiten am Hohen Hagen beendet hatte.

Für den Bau des Turmes wurden Baustoffe wie Sand und Holz aus dem Dransfelder Wald sowie Basalt vom Hohen Hagen genutzt. Der Berliner Kunstprofessor und wilhelminische Hofbildhauer Prof. Gustav Eberlein (1847-1926) versprach bei einem Besuch der Baustelle, eine repräsentative Gaußbüste für die Eingangshalle anzufertigen.
Die Gaußbüste entstand immerhalb weniger Monate. Die Büste wurde am 31. Juli 1911, dem Tag der Turmeröffnung, in der Eingangshalle enthüllt. Das strahlend weiße Kunstwerk setzte sich wirkungsvoll von der mosaikgeschmückten Halle ab.
„Als amerikanische Soldaten 1945 Dransfeld befreiten, schlugen sie der Büste die Nase ab“, berichtet Stadtarchivar Friedrich Rehkop bitter. Die Soldaten hätten außerdem der Figur von August Giesecke in den Kopf geschossen. Giesecke hatte den Turmbau mit großen Beträgen unterstützt und bei der Eröffnung des Bauwerks die Festrede halten dürfen.

Bereits zwei Jahre nach der Grundsteinlegung, am 31.07.1911, konnte der Gaußturm eingeweiht werden. Zu der rauschenden Feier mit über 2.000 Gästen erschienen auch Nachkommen der Familie Gauß aus Deutschland und den USA.
Die Höhe des Turms betrug 32,3 m, die Aussichtplatform war in 22,17 m und auf 528 m. ü. NN.

Als Turmwächterin wirkte 25 Jahre lang Lina Eilers. „Tante Eilers“, wie sie die Ausflügler nannten, verkaufte Eintrittskarten und machte Führungen durchs Gaußzimmer. Sie selbst ging an jedem Wochenende zu Fuß hinauf zum Hohen Hagen. Gestorben ist sie am 22. Mai 1950. „Einige Tage vorher hatte sie noch ihren Dienst versehen“, meint Rehkop beeindruckt.

Der an einer sehr exponierten Stelle erbaute Gaußturm musste im Laufe der Zeit Beschädigungen durch Witterungseinflüsse (Wind, Regen) und den zweiten Weltkrieg hinnehmen. Am stärksten wurde er aber durch den benachbarten intensiv betriebenen Bergbau beeinträchtigt, da die Abbaugrenze immer näher rückte.

In den Wochen nach schweren Sprengungen am 19. und 20. Oktober 1961 hatten sich in der Wiese rund um den Turm sowie in dem Bauwerk selbst immer tiefere Risse gebildet. Der ganze Bereich drohte in den Steinbruch abzurutschen. Die Behörden untersagten daher 1962 das Betreten des Grundstücks. Um die Büste, aber auch die Ausstellungsstücke aus der ebenfalls im Turm befindlichen Gaußsammlung zu bergen, mussten die Mündener Pioniere anrücken. Nachts, als unten im Steinbruch der Betrieb ruhte, machten sich die Soldaten bei Scheinwerferlicht an die Arbeit. „Damals sind wir mit dem Kran des Panzers durch das Seitenfenster eingedrungen und haben erstmal die Gaußbüste drangehängt“, erinnert sich Rehkop. Auf dem gleichen Weg retteten die Soldaten Nachbildungen gaußscher Erfindungen sowie Bilder, die im Ausstellungsraum gezeigt wurden. Rehkop selbst bestieg den einsturzgefährdeten Turm, um die Panoramatafeln abzumontieren. Am 14. November 1963 stürzte der Turm schließlich ein.

Der Verschönerungsverein e.V. verklagte daraufhin das Basaltwerk und führte lange Prozesse um „seinen Turm". Als Ersatz, zu dem das Basaltwerk durch Gerichtsbeschluss verpflichtet wurde, entstand ein knappes Jahr später an anderem Standort ein Stahlbetonbauwerk mit einer Höhe von 51 m.

Graun - das versunkene Dorf im Reschensee


Im Jahre 1949/50 wurden die Dörfer Graun und Reschen im Oberen Vinschgau Opfer eines rücksichtslosen Stauprojektes. Auf einen Stausee am Reschen hatte man es schon sehr viel früher, nämlich bereits zu Zeiten der österreichischen Monarchie, abgesehen.
Die italienische Regierung griff im Jahr 1920 diesen Plan auf und erteilte eine Konzession für die Anhebung des Wasserspiegels um 5 Meter. Das Ausmaß dieser Stauung wäre nicht sehr beunruhigend gewesen, da es die Orte Graun und Reschen nicht gefährdet hätte.
Später übernahm aber der Konzern Montecatini (heute Edison) diese Konzession und arbeitete ein neues, weit größeres Projekt aus. Es sah eine Stauung der Seen von 1475 auf 1497 Meter, also um 22 Meter, vor, was den Untergang von ganz Graun und eines Großteils von Reschen zur Folge haben würde.

Die Art, wie man diese Pläne der betroffenen Bevölkerung mitteilte und deren Einverständnis einholte, war wirklich kriminell. Das Vorhaben wurde vom faschistischen Gemeindesekretär in Graun nur in italienischer Sprache unter vielen anderen Erlässen und nur für zwei Wochen publiziert, so dass die betroffenen Bürger es überhaupt nicht zur Kenntnis nahmen und deshalb natürlich auch keinen Einwand dagegen erhoben.

Nach Ablauf der Frist konnte der Sekretär weitermelden, dass niemand etwas gegen das Projekt einzuwenden habe. Obwohl dieses Vorgehen auch im damaligen faschistischen Italien vollständig gesetzwidrig war, ermächtigte das römische Ministerium die Montecatini am 6. April 1940 zum Baubeginn und erklärte zugleich die Arbeiten für dringend und unaufschiebbar.
Die Kriegsereignisse machten jedoch zunächst einen Strich durch diese Rechnung und nach der Besetzung Norditaliens durch die deutsche Wehrmacht im Jahre 1943 wurden die Arbeiten ganz eingestellt.

Ab 1947 wurde das Projekt jedoch wieder vorangetrieben. Den Winter 1949/50 durften die Grauner noch in ihrem alten Dorf verbringen. Bereits im Frühherbst 1949 waren alle Einwohner vor die schwere Entscheidung gestellt, abzuwandern und in der Fremde eine neue Existenz aufzubauen oder sich an den Hängen von St. Anna oberhalb von Graun neu anzusiedeln. An die 30 der 120 Parteien entschieden sich für das Verbleiben in Graun und beauftragten den Architekten Erich Pattis mit der Planung der neuen Siedlung. Für viele Familien aber war in Graun und Reschen kein Platz mehr, sie mussten das Land ihrer Väter verlassen, irrten überall in Südtirol und Italien umher, um eine neue Heimat zu finden.


In Graun und Reschen begann man 1950 die Sprengladungen zu zünden, um die Häuser, Pfarrkirchen und altes Kulturgut zu vernichten, alles um des "Fortschritts" Willen. Einzig der romanische Turm der Kirche aus dem 14. Jahrhundert wurde aus Gründen des Denkmalschutzes stehen gelassen.

Ein Augenzeuge schreibt darüber:
„Graun liegt in den letzten Zügen. Wie bei einem Todkranken stirbt Glied für Glied ab. Tag für Tag dringt das Wasser weiter vor, Tag für Tag erdröhnen die Sprengungen, und sobald sich der Rauch verzogen hat, ist wieder ein Haus in sich zusammengesunken.“
Am Sonntag, 9. Juli 1950, findet der letzte Gottesdienst in der alten Kirche statt. Die Orgel war bereits entfernt worden. Herzergreifend waren die Abschiedsworte des Pfarrers von der Kanzel. Viele Leute haben geweint. Am Nachmittag wurde das Allerheiligste nach dem St. Anna Kirchlein auf dem Hügel über dem sterbenden Dörflein übertragen. Sonntag, 16. Juli, 8 Uhr abends, läuten die Glocken ein letztes Mal zum Abschied von ihrem alten Graun. Gemeinsam läuten sie eine halbe Stunde, und dann fünf Minuten lang die Große. Dieser letzte Gruß der Glocken wird jedem Grauner unvergeßlich bleiben.
Am 18. Juli verließ die große Glocke ihre Stube, die sie seit 1926 bewohnt hatte. Am nächsten Tag folgte ihr die alte Glocke, welche (aus dem Jahre 1505) Weh und Freude des Dörfleins begleitet hatte. Zugleich wurde mit dem Abdecken des Kirchendaches, und der Sprengung begonnen. Am 23. Juli 1950 (an einem Sonntag) wurde der erste Sprengversuch der Kirche untenommen. Es wird einem furchtbar weh ums Herz, wenn man dies alles mitansehen muss, dieses langsame Hinsterben seines Heimatdörfleins, Stück um Stück, mit all den tausend lieben Erinnerungen versinkend in den Fluten des Stausees. Und ist man dann fortgezogen, dann geht's einem noch lange nach...

Für die Stromerzeugung wurden die Dörfer Graun und Reschen (teilweise) und die uralten Weiler von Arlund, Piz, Gorf und Stockerhöfe (St. Valentin) unter Wasser gesetzt. Es entstand ein Stausee mit 677 ha Fläche. Über 6 km lang ist der Reschensee heute. Mit seiner Wassermenge von 116 Millionen Kubikmetern erzeugt er rund 250 Millionen kWh Strom im Jahr.


Der mitten aus dem Wasser ragende Kirchturm von Altgraun erinnert, gleichsam als stumme Anklage, daran, um welchen nie zu bezahlenden Preis hier "Fortschritt" erkauft wurde. Hier breitete sich einst eine blühende Landschaft aus, mit dem malerischen Dorf Graun. Es war ein stattliches Dorf, erfüllt vom Durchzugsverkehr zwischen Bozen und Landeck. 163 Häuser in Graun und in Reschen und 523 ha fruchtbarer Kulturboden fielen den Fluten zum Opfer. Über die Hälfte der 650 Bewohner von Graun mussten in die Fremde ziehen, rund 1000 Menschen waren von der Katastrophe betroffen.


Übrigens kann man am Reschensee prima Urlaub machen. Weitere Informationen gibt's hier: Urlaub Vinschgau.

Quellen: Auszug - Information St. Antoniusblatt Nr. 9 - September 1988 entnomnen. Ergänzung, Aufbereitung u. Überarbeitung Schöpf Ludwig - Plangger Alfred; Wikipedia

Donnerstag, 17. Dezember 2009

Schulenberg und die Okertalsperre im Harz

Die Planungen für die Okertalsperre wurden bereits in den Jahren von 1938 bis 1942 begonnen. Der 2. Weltkrieg verhinderte ein Fortschreiten des Bauprojekts. Erst nach dem Krieg, ab dem Jahr 1949, wurde das Projekt von Heinrich Press (1901-1968) wieder aufgenommen und er vollendete den Bau der Talsperre bis 1956. Sie ist mit einer Wasseroberfläche von mehr als zwei Quadratkilometern eine der größten Talsperren im Harz. Hinter der 260 Meter langen bogenförmigen Staumauer befindet sich ein idyllisch gelegener, weit verzweigter Stausee mit vielen schönen Buchten und einer maximalen Tiefe von etwa 65 Meter.


Dort, wo sich heute der Stausee ausbreitet, befand sich bis zum Jahre 1954 die kleine Ortschaft Schulenberg, einst Bergbau- und Hüttensiedlung, später Waldarbeitersiedlung. Schulenberg musste von seinen Bewohnern aufgegeben und dem ansteigenden Wasser des Stausees überlassen werden, wo es langsam versank.

Die Gebäude wurden zuvor bis auf die Grundmauern abgetragen. Ins Reich der Legende gehört deshalb die Geschichte, dass man bei niedrigem Wasserstand im Stausee eine Kirchturmspitze sehen und das Läuten ihrer Glocken vernehmen könne...

Der Ort Schulenberg wurde unweit des nun entstandenen Stausees wieder völlig neu aufgebaut. Heute ist er ein beliebter Erholungs- und Luftkurort.



Der Okerstausee gehört zu den wenigen großen Gewässern im Harz, welche auch unter bestimmten Voraussetzungen zum Tauchen freigegeben sind. Ein Tauchgang muss vorher angemeldet werden und ist auch nicht für jeden Taucher möglich. Alle interessanten Tauchziele wie z.B. die Reste der überfluteten Häuser und Straßen liegen bei Vollstau tiefer als 20 Meter. Ohne starke Lampe sehen Sie hier also nichts. Berichte über das ein oder andere Tacherlebnis im Okerstausee findet man vereinzelt im Internet, z.B. die folgenden:

Tauchgang zum alten Kraftwerk
Ulrich Baron und sein Tauchpartner Timo Poesch wollen zum alten Kraftwerk in dreißig Metern Tiefe. Ein Graben speiste das Kraftwerk mit Wasser. Die beiden folgen dem Bachbett und landen am Rohr, durch das das Wasser aus dem Werk herausgeleitet wurde. Der Kellerraum ist noch vollständig erhalten. Leitungen ragen aus der Decke heraus. Überall finden die Taucher Rohröffnungen, die vermutlich Turbinen mit Wasser versorgt haben.

Versunkene Tal-Brücken
Zuerst erkennen Uli und Björn die Böschung des alten Flussbettes. Dahinter befinden sich Teile einer alten Steinbrücke. Der gemauerte Brückenbogen ist noch hervorragend zu erkennen. Kaum zu glauben, dass hier einst Autos herübergefahren sind. Dann erscheint eine Holzbrücke. Auch sie sieht noch stabil aus, obwohl sie seit über fünfzig Jahren 32 Meter unter dem Wasserspiegel liegt.

Interessant ist auch dieser mit einer Videokamera festgehaltene Tauchgang (hier geht's zum Video):




Quelle u. a. für einige Bilder TU Clausthal