Im Jahre 1949/50 wurden die Dörfer Graun und Reschen im Oberen Vinschgau Opfer eines rücksichtslosen Stauprojektes. Auf einen Stausee am Reschen hatte man es schon sehr viel früher, nämlich bereits zu Zeiten der österreichischen Monarchie, abgesehen.
Die italienische Regierung griff im Jahr 1920 diesen Plan auf und erteilte eine Konzession für die Anhebung des Wasserspiegels um 5 Meter. Das Ausmaß dieser Stauung wäre nicht sehr beunruhigend gewesen, da es die Orte Graun und Reschen nicht gefährdet hätte.
Später übernahm aber der Konzern Montecatini (heute Edison) diese Konzession und arbeitete ein neues, weit größeres Projekt aus. Es sah eine Stauung der Seen von 1475 auf 1497 Meter, also um 22 Meter, vor, was den Untergang von ganz Graun und eines Großteils von Reschen zur Folge haben würde.
Die Art, wie man diese Pläne der betroffenen Bevölkerung mitteilte und deren Einverständnis einholte, war wirklich kriminell. Das Vorhaben wurde vom faschistischen Gemeindesekretär in Graun nur in italienischer Sprache unter vielen anderen Erlässen und nur für zwei Wochen publiziert, so dass die betroffenen Bürger es überhaupt nicht zur Kenntnis nahmen und deshalb natürlich auch keinen Einwand dagegen erhoben.
Nach Ablauf der Frist konnte der Sekretär weitermelden, dass niemand etwas gegen das Projekt einzuwenden habe. Obwohl dieses Vorgehen auch im damaligen faschistischen Italien vollständig gesetzwidrig war, ermächtigte das römische Ministerium die Montecatini am 6. April 1940 zum Baubeginn und erklärte zugleich die Arbeiten für dringend und unaufschiebbar.
Die Kriegsereignisse machten jedoch zunächst einen Strich durch diese Rechnung und nach der Besetzung Norditaliens durch die deutsche Wehrmacht im Jahre 1943 wurden die Arbeiten ganz eingestellt.
Ab 1947 wurde das Projekt jedoch wieder vorangetrieben. Den Winter 1949/50 durften die Grauner noch in ihrem alten Dorf verbringen. Bereits im Frühherbst 1949 waren alle Einwohner vor die schwere Entscheidung gestellt, abzuwandern und in der Fremde eine neue Existenz aufzubauen oder sich an den Hängen von St. Anna oberhalb von Graun neu anzusiedeln. An die 30 der 120 Parteien entschieden sich für das Verbleiben in Graun und beauftragten den Architekten Erich Pattis mit der Planung der neuen Siedlung. Für viele Familien aber war in Graun und Reschen kein Platz mehr, sie mussten das Land ihrer Väter verlassen, irrten überall in Südtirol und Italien umher, um eine neue Heimat zu finden.
In Graun und Reschen begann man 1950 die Sprengladungen zu zünden, um die Häuser, Pfarrkirchen und altes Kulturgut zu vernichten, alles um des "Fortschritts" Willen. Einzig der romanische Turm der Kirche aus dem 14. Jahrhundert wurde aus Gründen des Denkmalschutzes stehen gelassen.
Ein Augenzeuge schreibt darüber:
„Graun liegt in den letzten Zügen. Wie bei einem Todkranken stirbt Glied für Glied ab. Tag für Tag dringt das Wasser weiter vor, Tag für Tag erdröhnen die Sprengungen, und sobald sich der Rauch verzogen hat, ist wieder ein Haus in sich zusammengesunken.“Am Sonntag, 9. Juli 1950, findet der letzte Gottesdienst in der alten Kirche statt. Die Orgel war bereits entfernt worden. Herzergreifend waren die Abschiedsworte des Pfarrers von der Kanzel. Viele Leute haben geweint. Am Nachmittag wurde das Allerheiligste nach dem St. Anna Kirchlein auf dem Hügel über dem sterbenden Dörflein übertragen. Sonntag, 16. Juli, 8 Uhr abends, läuten die Glocken ein letztes Mal zum Abschied von ihrem alten Graun. Gemeinsam läuten sie eine halbe Stunde, und dann fünf Minuten lang die Große. Dieser letzte Gruß der Glocken wird jedem Grauner unvergeßlich bleiben.
Am 18. Juli verließ die große Glocke ihre Stube, die sie seit 1926 bewohnt hatte. Am nächsten Tag folgte ihr die alte Glocke, welche (aus dem Jahre 1505) Weh und Freude des Dörfleins begleitet hatte. Zugleich wurde mit dem Abdecken des Kirchendaches, und der Sprengung begonnen. Am 23. Juli 1950 (an einem Sonntag) wurde der erste Sprengversuch der Kirche untenommen. Es wird einem furchtbar weh ums Herz, wenn man dies alles mitansehen muss, dieses langsame Hinsterben seines Heimatdörfleins, Stück um Stück, mit all den tausend lieben Erinnerungen versinkend in den Fluten des Stausees. Und ist man dann fortgezogen, dann geht's einem noch lange nach...
Für die Stromerzeugung wurden die Dörfer Graun und Reschen (teilweise) und die uralten Weiler von Arlund, Piz, Gorf und Stockerhöfe (St. Valentin) unter Wasser gesetzt. Es entstand ein Stausee mit 677 ha Fläche. Über 6 km lang ist der Reschensee heute. Mit seiner Wassermenge von 116 Millionen Kubikmetern erzeugt er rund 250 Millionen kWh Strom im Jahr.
Der mitten aus dem Wasser ragende Kirchturm von Altgraun erinnert, gleichsam als stumme Anklage, daran, um welchen nie zu bezahlenden Preis hier "Fortschritt" erkauft wurde. Hier breitete sich einst eine blühende Landschaft aus, mit dem malerischen Dorf Graun. Es war ein stattliches Dorf, erfüllt vom Durchzugsverkehr zwischen Bozen und Landeck. 163 Häuser in Graun und in Reschen und 523 ha fruchtbarer Kulturboden fielen den Fluten zum Opfer. Über die Hälfte der 650 Bewohner von Graun mussten in die Fremde ziehen, rund 1000 Menschen waren von der Katastrophe betroffen.
Übrigens kann man am Reschensee prima Urlaub machen. Weitere Informationen gibt's hier: Urlaub Vinschgau.
Quellen: Auszug - Information St. Antoniusblatt Nr. 9 - September 1988 entnomnen. Ergänzung, Aufbereitung u. Überarbeitung Schöpf Ludwig - Plangger Alfred; Wikipedia
alt graun lebt weiter es ist traurig was damals passiert ist es hätt ned sein solln
AntwortenLöschenvoll
AntwortenLöschenja
LöschenEs ist einfach furchtbar, wie Menschen mit Menschen umgehen. Doch auch in der heutigen Zeit werden immer wieder Menschen ihrer Heimat beraubt. Als Leuchturm der Verbrechen, wäre aus heutiger Sicht wohl die Vertreibung tausender Menschen in China zu nennen. Und dies nur, um einigen hundert Sportlern ein nettes Event zu bieten. Aufmerksam auf das Schicksal von Graun, wurde ich durch ein Wandbild an einem Haus in Schwendt (Tirol). Nun denn, beste Grüße aus Bayern.
AntwortenLöschenEinfach schade für die Leute die ihre Häuser aufgeben mussten..
AntwortenLöschenAuf der Suche nach einem Urlaubsquartier bin ich auf diese Seite gekommen.... wir sind jedes Jahr drei- bis viermal in Südtirol und oft führt uns der Weg über den Reschenpass. Oft haben wir schon an diesem Ort verweilt und haben der Menschen gedacht, die Ihre Heimat aufgeben mussten. Auch bei unserer Alpenüberquerung mit dem MBike, haben wir in Reschen Station gemacht und die schöne Natur genossen und uns der Vergänglichkeit durch den Menschen bewusst gemacht...
AntwortenLöschenWir lieben die Südtiroler und ihre Heimatverbundenheit und Grüßen unbekannt und mit der gleichen Heimatverbundenheit aus Dresden/Sachsen