Samstag, 18. Januar 2014

Die Alte Schäferei in Celle

Früher, in den späten 70er und Anfang der 80er Jahre, gehörte er in unserer Familie zum Sonntag wie der Tannenbaum zu Weihnachten: der Sonntagsspaziergang. Als Kind fand ich diese sonntäglichen Fußmärsche in der Regel wenig spannend, und meist auch ziemlich anstrengend. Dennoch ist mir eines der vielen Ausflugsziele bis heute im Gedächtnis geblieben - die Alte Schäferei bei Celle. Auch in späteren Jahren hat es mich dort immer wieder hingezogen. Und nun ist es an der Zeit, etwas über die Geschichte dieses Ortes festzuhalten.

Noch immer stößt man heute mitten im „Neustädter Holz“ auf eine große freie Fläche und einige mächtige, uralte Eichen; Huteichen sind es, 22 an der Zahl und allesamt denkmalgeschützt. Gebäude bzw. Gebäudereste sind allerdings nicht mehr vorhanden, so dass man sich heute nur noch schwer vorstellen kann, wie es hier früher wohl einmal ausgesehen haben mag. So bemühen wir also zwei alte Ansichtskarten, die die Schäferei um das Jahr 1908 herum zeigen:

Postkarte um 1908

Die Geschichte der Schäferei beginnt jedoch schon sehr viel früher, ein genaues Datum ist allerdings nicht bekannt. In dem Buch „Geschichten und Ereignisse um die Celler Neustadt; Stadtteilchronik von 1566-2005“ wird sehr ausführlich über die Entstehung der Schäferei berichtet. Darin findet sich auch folgende Beschreibung Ernst Spangenbergs aus dem Jahre 1826 mit dem Titel „Commune der Neustadt“:

„Am Ende der Neustadt führt eine Brücke über die Fuhse. Jenseits derselben befindet sich das herrschaftliche Forsthaus, so wie auf der anderen Seite nordwärts ein vormaliger herzoglicher Lustort, jetzt ein Landwesen, die Schäferey genannt; Herzog Christian Ludwig hatte sie angelegt, und starb daselbst 1665. Jetzt ist sie Privateigenthum.“

Spangenberg geht also davon aus, dass der Herzog von Braunschweig und Lüneburg, Christian Ludwig, die Schäferei angelegt hat. Ein anderer Chronist, Urban Friedrich Christoph Manecke, rechnet die Anlage jedoch dem Onkel des Herzogs zu, der von 1611 bis 1633 als Fürst in Celle regierte. Ein noch früheres Datum, nämlich 1598, favorisierten zwei weitere Chronisten: Clemens Cassel und Georg Breling. Damit wäre Herzog Ernst II. derjenige gewesen, der die Schäferei anlegte.
Unbestritten ist aber wohl, dass Herzog Christian Ludwig in der Einsamkeit des Waldes ein Land- bzw. Lusthaus errichten ließ. Über den Herzog ist bekannt, dass er an einer Lungenkrankheit litt und sich von der frischen Waldluft Linderung seines Leidens erhoffte. In guten Tagen soll er so manch ein Trinkgelage auf der Schäferei abgehalten haben. Der Jagd war der Herzog ebenfalls zugetan, hier wurde mit dem Falken auf Fischreiher gejagt (wovon übrigens noch heute der Reiherpfahl bei Altenhagen zeugt, den er 1660, nach dem Abschuss seines ersten Reihers, aufstellen ließ).

Die „Beiträge zur Heimatkunde von Celle und Umgebung“ aus dem Jahre 1912 geben weiter Auskunft zur Schäferei. So wird darin vermutet, dass die „herrlichen Eichengruppen bei der Schäferei“ wohl zu Christian Ludwigs Zeiten entstanden sind. Und es ist von einem vermutlich damals geschaffenen Park die Rede, der das Lusthaus umgab, und dessen Spuren man noch im Gehölz erkennen kann. Wenn dem so ist, dann müsste die Eiche auf dem folgenden Foto bereits rund 400 Jahre alt sein:

Eine der mächtigen Eichen an der Alten Schäferei

Herzog Christian Ludwig starb am Abend des 15. März 1665 in der Schäferei.

In der Folgezeit wurde die Schäferei von den Mächtigen  gern und oft genutzt, so war z.B. im Jahre 1698 der König von England zu Gast bei Herzog Georg Wilhelm, und beide machten sich von hier auf zur Saujagd im Wietzenbruch. Bis zum Tode Georg Wilhelms am 28. August 1705 waren zahlreiche Gebäude bei der Schäferei entstanden: ein „Ablagerhaus“ (welches als Gästehaus genutzt wurde), ein Wohnhaus, ein Backhaus, ein Viehstall und ein Schafstall.
Nach Georg Wilhems Tod wurde es ruhig um die Schäferei, bis - so erzählt man sich - die britisch-hannoversche Prinzessin Caroline Mathilde darauf aufmerksam wurde. Die „Beiträge zur Heimatkunde von Celle und Umgebung“ geben dazu folgenden Hinweis:

„Die Königin Karoline Mathilde verbrachte manchen Tag auf der Schäferei und erfreute sich besonders des schönen Blickes vom Allerufer auf die Stadt. Die Waldpartie östlich der Schäferei heißt noch heute „Karoline-Mathilden-Busch“. Ihr Lieblingssitz, die „Karolinen-Mathilden-Laube“, aus mächtig ausgewachsenen Linden bestehend, ist in diesem Jahre (1912) vom Verschönerungsverein wieder kenntlich gemacht worden.“

Das Gelände der Alten Schäferei heute
(Quelle: bing.com - maps)

Danach gelangte die Schäferei in den Besitz des Präsidenten des Oberappellationsgerichts Ernst August von Schlepegrell. Da er schon 1781 verstarb, fiel die Schäferei unter die Obhut der Burgvogtei Celle. In den folgenden Jahren wurde dort Holz, Vieh und landwirtschaftliches Gerät öffentlich meistbietend verkauft. 1835 ging das Anwesen schließlich an die Königliche Domänenkammer. Ein Teil des Grundstücks wurde 1836 dem „Komitee des Vereins der Trainieranstalt“ (Verein für Pferdetrainierung) zur Pacht überlassen. Von 1859 bis 1863 fanden auf diesem Gelände sogar Pferderennen statt. 1869 lief der Pachtvertrag aus.

1872 wurden die Dächer einiger Gebäude auf dem Schäfereihof erneuert. Ein weiteres markantes Datum in der Geschichte der Schäferei ist der 8. Juli 1903, als nämlich das vermeintliche Sterbehaus Herzogs Christian Ludwigs niederbrennt. In dem Haus wohnte bis dahin die Familie des königlichen Försters Engelken und eine Familie Müller, die dort eine Kaffeewirtschaft betrieb. In der „Celleschen Zeitung“ vom 9. Juli 1903 findet sich folgender Artikel über den Brand:

„(Feuer.) Gestern Nachmittag gegen 2 Uhr brach plötzlich in dem Forsthause „Schäferei“ Feuer aus, durch welches das ganze Haus bis auf den Grund eingeäschert wurde. Das alte, wie es heißt im jahre 1519 erbaute Gebäude ist Eigentum des Forstfiskus, es wurde bewohnt von dem königlichen Förster Engelken und einer Familie Müller, die dortselbst eine Kaffeewirtschaft betrieb. Gegen 2 1/2 Uhr bemerkten die Bewohner das Feuer, als bereits der Dachstuhl brannte, sofort wurde Lärm geschlagen und bald erschienen auch Leute aus Boye und aus dem Gehölz, die sich tapfer an den Löscharbeiten beteiligten. Das gesamte Mobiliar, das nur teilweise versichert war, konnte gerettet werden. Wodurch das Feuer entstanden, ist unbekannt; die Annahme, daß ein Blitzstrahl das Haus entzündet habe, trifft wohl nicht zu, da die Bewohner davon nichts gemerkt haben.“

Postkarte um 1908
(Quelle: Buch „Celle - Alte Bilder erzählen“)

Das Wohnhaus wurde nicht wieder aufgebaut. Aus den bereits mehrfach zitierten „Beiträgen zur Heimatkunde von Celle und Umgebung“ (1912) erfährt man: „In einem Nebengebäude wohnt jetzt ein Forst-Vorarbeiter, der auch eine kleine Schenkwirtschaft dort betreibt.“

Gäste wurden in der Schäferei auch in den folgenden Jahren bewirtet. Ein Artikel aus der „Celleschen Zeitung“ vom 6. April 2013 befasst sich mit der Zeit ab ca. 1930. Darin erfährt man, dass die Gastwirtschaft besonders in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg unter der Betreiberfamilie Katzwedel florierte. Aus gesundheitlichen Gründen mussten Katzwedels die Schäferei 1962 abgeben. Ihr Oberkellner August Rehn übernahm die Schäferei und führte sie noch bis 1974 fort. Dann fand sich jedoch kein Nachfolger mehr, so dass das Gebäude leerstand. Nachdem Vandalen das Haus ruiniert hatten wurde es schließlich 1975 abgerissen.

Postkarte aus den 1960er Jahren


Artikel aus der Celleschen Zeitung vom 6. April 2013

Heute bleiben von der Schäferei nur noch die Erinnerungen - und die alten mächtigen Eichen auf dem Gelände zeugen von einer langen, aber längst vergangenen Geschichte...


Mächtige Bäume säumen den großen freien Platz
Irgendwo dort hinter den Bäumen stand einst die Schäferei

Diese alte Tasse hat wohl jemand auf dem Gelände gefunden und an
den Baum gebunden. Ob sie wohl ein letzter stummer Zeuge der
Gastwirtschaft an der Alten Schäferei ist?

Quellen: Buch „Geschichten und Ereignisse um die Celler Neustadt; Stadtteilchronik von 1566-2005“ sowie Artikel der Celleschen Zeitung vom 6. April 2013 (Seite 19).
Fotos: eigene, bzw. gekennzeichnet

4 Kommentare:

  1. Was du immer alles so zu berichten weißt ist wirklich beachtenswert. Zu wenig Menschen richten ihr Augenmerk auf derartige Gebiete. Darum werden sie ja mit der Zeit zu den "Lost Places". Die alten Generationen gehen und die jungen interessieren sich wenig, bis gar nicht für derartige Dinge. Im Gegenteil, viele vandalieren an derartigen Orten und zerstören noch die letzten überbeibsel.
    Schön das du dir die Mühe machst und für uns "Kulturinteressierte" immer wieder über neue "Lost Places" zu berichten weißt.
    Danke dafür.

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  2. Ein toller Beitrag - mal wieder! ;)

    Was mich besonders freut, ist die gründliche Recherche in Bild und Text. Und natürlich ist es klasse die Namen der wichtigen Celler Chronisten zu lesen. Besonders Clemens Cassel leistete meiner Meinung nach eine Arbeit, der heute etliche vergeblich nach eifern. Es nützt nichts aus alten Quellen abzuschreiben, wenn man selber kein Verständnis für eine Sache hat. Wer Heimatforschung betreiben will, der kann sich möglicherweise bestens in Archiven und Büchern auskennen - begibt er sich jedoch nicht mit eigenen Augen und seinem eigenen Verstehen an die Dinge, bleibt das Ergebnis immer nur die Reproduktion des bereits Bekannten - allen Bemühungen zum Trotz. Schön, dass Du hier echte Heimatforschung betreibst!

    Viele Grüße ;)

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  3. Moin, Klasse Beitrag mal wieder!!👍👍👏

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  4. Eine Bitte: gibt es eine Karte bzw. Lageplan des ehemaligen Gebäudes?

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