Dienstag, 12. Januar 2010
Das Neue Lusthaus in Stuttgart
Die Bedeutung des Wortes "Lusthaus" ist den meisten heutzutage nicht mehr geläufig. Passanten, die die ruinösen Reste des Neuen Lusthauses im Mittleren Schlossgarten in Stuttgart erblicken, glauben der Beschriftung entnehmen zu können, dass es sich bei diesem Gebäude um ein Bordell gehandelt hat.
Doch in einem "Lusthaus" frönte man keineswegs der fleischlichen Lust. Vielmehr war es ein Festgebäude, das eben allein dem Vergnügen, der "Lust" dienen sollte und nur für einen zeitlich begrenzten Aufenthalt gedacht war. Hier wurden größere und kleinere Festlichkeiten veranstaltet, Festmähler ausgerichtet und getanzt, das Untergeschoss diente als Wandelhalle und hatte musealen Charakter.
Lusthäuser oder auch Lustschlösser bzw. eigenständige Saalbauten, die man inmitten eines Gartens errichtete, gibt es seit der Renaissance. Das Stuttgarter Neue Lusthaus war zu seiner Zeit offensichtlich nicht nur das größte Bauwerk dieser Art in Deutschland, es war auch weithin berühmt für seine gelungene Architektur und Ausstattung.
Baugeschichte
Das beherrschende Element des herzoglichen Gartens bildete seit 1584 das Neue Lusthaus. Auf allen alten Ansichten der Stadt Stuttgart setzt dieses Gebäude einen deutlichen Akzent. Denn mit seinen riesigen Ausmaßen überragte es nicht nur die Gartenanlagen, sondern bot mit seiner durchgeformten Architektur auch einen unübersehbaren Kontrast zum Alten Schloss: Der große Giebelbau mit seinem laubenartigen, von vier Ecktürmen gefassten Vorbau und den zweiläufigen Treppen an den Längsseiten war 64 Meter lang, 29 Meter breit und 34 Meter hoch.
Die Pläne für dieses bedeutende Bauwerk der deutschen Renaissance erstellte Georg Beer (1527-1600). Er hatte schon am Alten Schloss gearbeitet, seit 1575 wurde er als württembergischer Hofbaumeister beschäftigt.
Bereits im Herbst 1583 ließ man 1.700 Eichenpfähle für das Fundament liefern. Am 30. März 1584 schlug Herzog Ludwig selbst den ersten Pfahl ein, am 2. Mai wurde der Grundstein gelegt. Drei Jahre später (1587) ist der Rohbau vollendet, worauf man an die Ausmalung des Saales gehen konnte. Erst danach ging man daran die vier Ecktürme zu errichten. Der gesamte Bau samt Innenausstattung wird schliesslich am 5. August 1593 fertig gestellt. Dem Bauherrn Herzog Ludwig war es somit nicht mehr vergönnt, diesen Prachtbau in vollendetem Zustand zu nutzen, denn er starb am Vortag der Einweihung des Neuen Lusthauses.
Architektur und Äußeres
Das Neue Lusthaus war ein zweigeschossiger Bau, die Giebelseite wies zum Alten Schloss, der damaligen Residenz. Im Erdgeschoss war dem Kernbau (62 x 24, 5 Meter) ringsum ein filigraner Arkadengang vorgelagert. Die zylindrischen Ecktürme mit hohen, einschwingenden Kegeldächern waren nur durch diesen Arkadengang an den Kernbau angebunden.
Die Außenwände des Erd- und Obergeschosses waren glatt und allein durch Türen bzw. hochrechteckige Doppelfenster (im Obergeschoss) gegliedert. Die Wände des Erdgeschosses wurden ohnedies durch den umlaufenden Arkadengang verdeckt. Hier ruhten die Bögen auf ionische Säulen. Dem Säulengang vorgelagert waren an den Längsseiten über sechs Arkaden jeweils eine doppelläufige Treppe. Der Zugang zum oberen Umgang führt über eine Doppelarkade mit aufgesetztem Zwerchhaus. Reich gegliedert und mit Steinmetzarbeiten verziert waren die hohen Hauptgiebel. Übereinander angeordnete ovale, kreisrunde und doppelbogige Fensteröffnungen durchbrachen das Mauerwerk. Das für die Renaissance-Ornamentik charakteristische Rollwerk und auf die horizontalen Gesimse gestellte Figuren verliehen der Giebelsilhouette große Lebendigkeit. Aus dem bekrönenden halbrunden Giebelstück neigte sich die Büste des Baumeisters Georg Beer den tief unten stehenden Menschen zu.
Innenausstattung
Erdgeschoss - Wandelhalle
Das Erdgeschoss konnte man an den Längsseiten durch jeweils vier, an den Schmalseiten durch je zwei Türen betreten. Im Inneren befand sich eine große netzgewölbte Halle, in deren Boden drei rechteckige Wasserbecken eingelassen waren. Zwischen den Bassins standen 24 gedrungene toskanische Säulen, die das Gewölbe tragen. Die Schlusssteine der Gewölberippen zeigen 24 Wappen von Ämtern, Klöstern und Städten des Herzogtums Württemberg. An den Tragsteinen der Gewölbe hat man 65 Büsten mit Darstellungen des Herzogs Ludwig, seiner beiden Gemahlinnen und 62 Vorfahren angebracht. Die Wände sind ringsum mit Bildnissen von Kaisern, Königen und Fürstlichkeiten geschmückt. Zudem hat man hier auch antike Inschriften und Grabsteine, die in Württemberg ausgegraben wurden, aufgestellt.
Auch in der Mitte der drei Wasserbecken stehen Säulen, in deren unteren Drittel Wasserröhren angebracht sind: Sie dienen als wasserspeiende Brunnensäulen. Das Wasserreservoir für die Brunnen befand sich in einem der vier Ecktürme. In den Bassins wurden zu Zeiten Herzog Ludwigs Fische gehalten. Der Fußboden der Halle und des Altans ist mit quadratischen und sechseckigen Steinplatten in Rot und Weiss belegt.
Obergeschoss - Festsaal
Das gesamte Obergeschoss wurde von einem einzigen Saal eingenommen. Er maß 20,3 Meter in der Breite, 14, 6 Meter in der Länge, war 14, 6 Meter hoch und wurde von einer hölzernen Tonnendecke überspannt. Am Scheitel der Tonne waren drei Riesenpeitschenleuchter angebracht. Die Decke war vollständig bemalt, die Darstellungen zeigten himmlischen Szenen (Erschaffung der Welt mit dem Sündenfall, die Anbetung des Lammes und das Jüngste Gericht). An der Fußlinie des Gewölbes schlossen sich friesartig Jagddarstellungen an. Um den gesamten Raum zog sich eine auf Balustersäulchen ruhende Bank. Darüber war die Wand zu einem Drittel vertäfelt. Die Wandstücke oberhalb der Vertäfelung wurden an den Stirnseiten von gerahmten Landkarten geschmückt: Sie zeigten Ämter und Forste des Herzogtums Württemberg nach der Landaufnahme des Geographen Georg Gadner.
In der Mitte jeder Längsseite hatte man ein prächtiges Portal aus braunem und weissem Alabaster errichtet. Die Portale entwickelten sich in drei Schichten vor der Wand, die dritte Schicht trug einen attikaähnlichen Aufsatz. Er wird von den Wappen des Herzogspaares geziert. Über dem Gebälk der Attika saß jeweils eine querovale, kartuschenartig gerahmte Schallöffnung, die das Musikzimmer im Zwerchhaus mit dem Saal verbindet. Jeweils eine Figurengruppe aus drei Musikanten krönte das Portal.
Die Musikzimmer waren gewölbt und vertäfelt. Herzog Ludwig ließ in jedem Zimmer eine Orgel aufstellen. Bei Veranstaltungen im Saal waren die Musiker in diesen Räumen untergebracht.
Die Innenräume der Turmobergschosse waren mit Historien und Jagdszenen ausgemalt. Sie dienen nach Frischlin zum "Kurzweilen, Zächen, Spielen und was man will".
Unter dem hohen Dach war eine komplizierte Dachstuhlkonstruktion untergebracht, die die hohe, aussergewöhnlich weite stützenlose Wölbung der Saaldecke ermöglichen soll.
Bautyp
Ein eigenständiger Saalbau, der allein dem Vergnügen bzw. Festlichkeiten vorbehalten war, ist ein Bautyp, der in der Renaissance aufkam. Der Adel war zunehmend bestrebt, sich auch bei seinen Festen zurückzuziehen. Zuvor hatten diese vorwiegend im öffentlichen Raum unter Teilnahme des Volkes stattgefunden. Nun zieht man in adligen Kreisen die Abgeschlossenheit von Schlössern und Gärten vor. Im Barock wird diese Entwicklung mit der Anlage von Schlossbauten oder Lustschlössern fernab der Städte fortgeführt. Auch hier konnte man ungestört dem Festrausch und dem Vergnügen frönen. Zu seiner Zeit war das Stuttgarter Neue Lusthaus offensichtlich das größte Bauwerk dieser Art.
Nutzung und Funktion des Neuen Lusthauses
Die Brunnenhalle im Erdgeschoss erfreute sich in erster Linie als erfrischender Grottenraum und Wandelhalle großer Beliebtheit - zumal an heissen Sommertagen. Zugleich diente sie aber auch als Ausstellungsraum. Darauf lassen die Anbringung von antiken Inschriften- und Grabsteinen sowie die Aufhängung von Portraits schließen.
Sowohl vom umlaufenden (bedachten) Arkadengang als auch von der Terrasse (Altane) aus konnte man den Blick in den Garten genießen. Bei Turnieren auf der vor dem Neuen Lusthaus gelegenen Rennbahn diente der Altan als Zuschauertribüne.
Doch vor allem sollte das Lusthaus Raum für größere Feierlichkeiten bieten und eine größere Anzahl von Teilnehmern aufnehmen können. Der große Saal im Obergeschoss war eigens dafür eingerichtet worden. Hier wurden vorwiegend Hochzeits- und Tauffestivitäten ausgerichtet, daneben aber auch Fastnachtsfeste und andere weniger offizielle Vergnügen. Bereits vor dem Umbau 1750 veranstaltete man im Lusthaus Theateraufführungen.
Das weitere Schicksal des Neuen Lusthauses
1750 wurde das noch bestehende Neue Lusthaus durch Leopoldo Retti in ein Opernhaus umgebaut. Das Äussere blieb weitgehend erhalten, lediglich das Innere erfuhr starke Veränderungen.
1752 wird an der westlichen Langseite ein Magazin für Dekorationen angebaut.
1757 verlängert man den Bühnenraum nach Norden.
1758 wird die Oper für den Herzog Carl Eugen erneut umgebaut, diesmal durch den Baumeister Philippe de La Guepiere
1811 Umgestaltung der äusseren Form (Abbruch eines Giebels) durch Nikolaus Friedrich von Thouret; auch das Äussere verschwindet nach und nach hinter den Anbauten und Erweiterungen
1845/46 anlässlich des Umbaus zum Hoftheater erfolgt der weitgehende Abriss des Neuen Lusthauses; lediglich die Umfassungsmauer einschließlich der Treppe an der Westseite und eine Folge von 15 Arkaden werden in den Neubau integriert.
1902 brennt dieser Neubau ab, es erfolgt der vollständige Abbruch der letzten Reste (ein neues Theater wird endgültig geplant und ab 1910 erbaut - an anderer Stelle: Das heutige große Haus der Württembergischen Staatstheater); der Abbruchleiter Beisbarth erkannte jedoch die Bedeutung dieses Bauwerks und hielt viele Details in Zeichnungen fest. Anhand dieser Zeichnungen und seiner Rekonstruktionen können wir uns heute noch ein gutes Bild vom ursprünglichen Zustand des Neuen Lusthauses machen.
Nach 1902 zog man den Wiederaufbau des Neuen Lusthauses (als Festgebäude) in Erwägung.
Seit 1904 stehen die Ruinenteile in den Oberen Anlagen (seit 1961 "Mittlerer Schlossgarten"). Weitere Fundstücke befinden sich heute im Lapidarium der Stadt Stuttgart (Mörikestraße 24), an der Villa Berg und ein Teil der Ahnenbüsten auf Schloss Lichtenstein.
Quelle (Auszüge): Wikipedia; Zentralblatt der Bauverwaltung vom 14. März 1903 und vom 8. Februar 1902
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