Dienstag, 15. April 2014

Fordlandia - die vergessene Stadt am Amazonas

Am Amazonas existiert eine vergessene Stadt die den Namen Henry Fords trägt: Fordlandia. Sie wurde bereits vor rund 80 Jahren aufgegeben - dies ist ihre Geschichte.

Fordlandia heute
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Fordlandia um 1933
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Zu Beginn des 20. Jahrhunderts boomte die Autoindustrie zum ersten Mal so richtig, was vor allem das Verdienst eines Mannes war: Henry Ford. Die von ihm entwickelte und perfektionierte Fließbandproduktion ermöglichte die Motorisierung breiter Massen mit günstigen und zuverlässigen Autos auf der ganzen Welt. Jedem wird das berühmte Ford T-Modell ein Begriff sein, das jahrzehntelang das meistproduzierte Auto weltweit und der Inbegriff für die globale Motorisierung war.

Mit der ständig wachsenden Produktion von Automobilen wuchs auch die Nachfrage nach Rohstoffen, speziell nach dem für die Reifenherstellung unentbehrlichen Naturkautschuk. Dessen Preis kletterte fast  unaufhörlich und bot Gewinnspannen, die kein anderer Naturrohstoff je im freien Wettbewerb erzielt hatte.
Diese Tatsache traf die Ford Motor Company besonders hart, denn sie stellte damals gut die Hälfte aller weltweit produzierten Autos her und hatte damit einen riesigen Bedarf an Kautschuk. Dieser jedoch kam zu 90 Prozent aus Südostasien (3/4 davon aus britischen Kolonien), dazu noch aus französischen und niederländischen Überseebesitzungen. Die amerikanische Autoindustrie musste also teuer importieren.

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs verschärfte sich die Situation für die USA, da die Briten ein Kautschuk-Kartell ins Leben riefen, um die sinkenden Weltmarktpreise zu stützen. Für die USA als größter Kautschukabnehmer war diese Situation unhaltbar und es entspann sich ein regelrechter Handelskrieg. Drei US-Industrielle nahmen sich daraufhin der Herausforderung an und reagierten auf das Kartell mit dem Aufbau eigener Plantagen zur Kautschukgewinnung. Die Reifenproduzenten Firestone und Goodyear wählten die Philippinen, Sumatra und Liberia als Standort, Henry Ford jedoch entschied sich für den brasilianischen Amazonas-Regenwald – dem eigentlichen Mutterland des Kautschuks – wo er 1927 riesige Ländereien erwarb. Hier wollte er künftig den Kautschuk gewinnen, der für seine Autoproduktion so dringend benötigt wurde.


Blick auf Fordlandia vom Wasser aus
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Die US-amerikanische Presse berichtete überschwänglich von diesem Projekt, und auch die brasilianische Regierung war begeistert, denn sie hoffte auf eine Wiederbelebung des Kautschukbooms, der durch die Überflutung des Weltmarkts mit dem britischen Plantagenkautschuk aus Südostasien fast gänzlich am Boden lag. Gleichzeitig versprach man sich aber auch einen enormen Entwicklungsschub für den unterentwickelten Norden des Landes. Dies alles traute man einem einzigen Mann zu: Henry Ford.

Dessen Projekt hatte wahrhaft gigantische Dimensionen: die Ford’schen Besitzungen erstreckten sich über rund 10.000 Quadratkilometer, die er für bescheidene 125.000 US-Dollar erwarb. Die Verhandlungen dauerten nur knapp drei Monate und waren Ende September 1927 abgeschlossen. Ford war sein Leben lang immer mutig und forsch an neue Aufgaben herangetreten, und gerade diese unkonventionelle und draufgängerische Art war es, die seinen Ruf als „Macher“ begründete. Bei diesem Projekt war es nicht anders, auch hier verließ sich Ford ganz auf seine Intuition und weniger auf eine durchdachte Strategie – ein fataler Fehler, wie sich später zeigen sollte.

Schon bei den Vertragsverhandlungen wurden entscheidende Fehler gemacht, so wurden z. B. mündlich zugesagte Privilegien der Bezirksregierung, besonders die Steuerbefreiung für die importierte Ausrüstung zum Aufbau der Plantage, durch die brasilianische Bundesregierung wieder gekippt. Auch verzichtete man auf Seiten der Amerikaner völlig auf die sonst vor Ort durchaus übliche Lobbyarbeit. Und die Probleme nahmen auch in der Folgezeit kein Ende.

Der Urwald wird gerodet...
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...das Holz wird in dem eigens dafür errichteten Sägewerk verarbeitet
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Das Sägewerk im September 2009 | Foto: Guido D'Elia Otero
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Um Fordlandia aus dem Boden zu stampfen trafen nun aus den USA laufend Transporte ein. Sämtliche Materialien, sogar ein Sägewerk und eine Eisenbahn, wurden aus Fords Heimat herangeschafft, um ein kleines amerikanisches Musterstädtchen am Tapajós entstehen zu lassen. Und nach rund dreijähriger Bauzeit war zumindest dieser Teil des Projekts vollendet: Ford hatte dem Urwald tatsächlich ein Städtchen nach US-Vorbild mit typisch amerikanischen Häusern, geteerten Straßen, blühenden Vorgärten, mit Straßenbeleuchtung, Telefon und Kanalisation abgerungen. Darüber hinaus entstanden ein eigenes Kraftwerk für die Stromversorgung, kilometerlange Straßen und Schienenverbindungen, ein modernes Krankenhaus, ein Hafen, drei Schulen, Kirchen und Clubhäuser, außerdem Tennisplätze, Parks, Schwimmbäder und ein Golfplatz. Als Schlusspunkt errichtete man 1930 den noch heute vorhandenen und für jede US-Kleinstadt typischen Wasserturm - mit seinen 45 Metern Höhe das höchste Bauwerk am Amazonas.

Noch heute existieren viele der vor rund 80 Jahren erbauten Häuser
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Straße in Fordlandia in den 1930er Jahren
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Das Kraftwerk in Fordlandia einst und heute
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Das Krankenhaus in den 1930er Jahren
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2012 ist das Krankenhaus weitestgehend verfallen | Foto: Alex Albino
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Doch die amerikanischen Lebensgewohnheiten und -umstände ließen sich nicht eins zu eins auf Fordlandia übertragen. Es haperte an vielen Stellen: so hatten z. B. viele der aus Amerika eingeflogenen Projektbeteiligten große Probleme mit den klimatischen Gegebenheiten vor Ort. Nicht wenige verließen Fordlandia schon nach kurzer Zeit wieder. Es mussten also immer wieder neue Leute eingearbeitet werden, was viel Zeit und Energie kostete. Auch war man viel zu optimistisch was die Rekrutierung der Arbeiter vor Ort anging. Es konnten weitaus weniger Arbeiter angeworben werden als benötigt wurden, außerdem hatte man große Probleme mit der Arbeitsmoral der örtlichen Bevölkerung. Das Übertragen der amerikanischen Lebensweise auf die Arbeiter und die angestrente „Umerziehung“ zu Pünktlichkeit und geregelten Arbeitsabläufen ließ sich kaum verwirklichen und schlug weitestgehend fehl, so dass es im Dezember 1930 sogar zu gewalttätigen Unruhen kam, die nur unter der Heranziehung von Militär beendet werden konnten. All diese Probleme traten schon in der Anfangszeit des Projekts zutage, und zu diesem Zeitpunkt hatte man noch nicht einmal richtig damit begonnen das eigentliche Ziel - das Anlegen von Kautschukplantagen - ernsthaft in Angriff zu nehmen.

Als dann schließlich ab 1930 mit den Anpflanzungen begonnen wurde, machte man auch hier wieder entscheidende Fehler. So wählte man als Ort für die Anpflanzungen ein höher gelegenes, hügeliges und damit erosionsgefährdetes Gelände aus, das zudem sehr häufig im Morgennebel versank - was die Ausbreitung von Pflanzenkrankheiten begünstigte. Dieses Gelände war schwierig zu bewirtschaften, außerdem pflanzte man die ersten Setzlinge derart nachlässig aus, dass fast alle eingingen. All diese Faktoren führten schließlich dazu, dass 1933 (endlich!) ein Experte für Kautschukplantagen hinzugezogen wurde. Dieser empfahl den Standort aufzugeben und es an anderer Stelle mit anderen (resistenteren und ertragreicheren) Samen neu zu versuchen. Man hörte auf diese Einschätzung und entschied sich wenig später für Belterra als neuen Standort und gab Fordlandia 1936 auf.

Restaurant in Fordlandia damals...
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...und das Restaurant heute
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Das Unternehmen in Belterra war noch größer dimensioniert, wurde aber letztlich auch kein Erfolg. Als Henry Fords Enkel Henry II 1945 die Firmengeschäfte von seinem Vater Edsel übernahm, fielen die Ford'schen Besitzungen im brasilianischen Regenwald dem Rotstift zum Opfer. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Ford Motor Company insgesamt rund 25 Millionen Dollar in das Projekt investiert, ohne dass damit jemals Kautschuk in kommerzieller Größenordnung gewonnen worden wäre.

Heute hat sich die Natur einen Großteil der ehemaligen Ford'schen Besitzungen zurück erobert. Henry Ford, Namensgeber dieser Siedlung am Amazonas, hat Fordlandia bis zu seinem Tod 1947 nie selbst besucht.


Hier einige Links zu weiteren Internetseiten über Fordlandia:

Fordlandia... Henry Ford's jungle utopia

Bildergalerie auf flickr: Fordlandia 

Artikel über Fordlandia im Daily Mail Reporter

Henry Ford's eerie Amazon ghost town (mit vielen aktuellen Fotos aus Fordlandia)

Blogposts zum Thema Fordlandia

Das Hospital in Fordlandia heute (Fotos aus 2012)



Quellen: Buch „Grandios gescheitert“ von Bernd Ingmar Gutberlet; Fotos: wie angegeben.

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